Wie wäre es mit einem Studium in Ostdeutschland? Z.B. an der MLU:

Erfahrungsbericht

Das Abitur zu schaffen ist für Schülerinnen und Schüler lange das große Ziel. Es kostet den einen mehr und der anderen weniger Nerven, aber wir machen es, damit uns am Ende alle Türen offenstehen. Doch was machen wir, wenn wir das Abitur tatsächlich geschafft haben? Wie sollen wir wählen aus diesem Überangebot an Möglichkeiten- ob Ausbildung oder Studium, wenn Ausbildung, welche dann oder welcher Studiengang. Es stellen sich Fragen über Fragen und die Frage, die ich mir damals viel stellte: Ist das wirklich die richtige Entscheidung?

Ich hatte damals überhaupt keine Ahnung, was ich machen möchte. Ich wusste nur, dass ich die Kleinstadtidylle erstmal ganz schnell hinter mir lassen wollte. Also entschied ich mich für einen Internationalen Freiwilligendienst in Israel. Hier hatte ich wohl eine der besten Zeiten meines Lebens. Hier wurde mir auch klarer, was ich studieren möchte. Allerdings kam ich erst nach dem Beginn des Wintersemesters wieder nach Deutschland, weswegen ich noch ein Jahr hatte, um zu arbeiten und zu reisen. Nach langem Hin- und Herüberlegen entschied ich mich nach diesen zwei Jahren dazu Nahoststudien und Ethnologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zu studieren.

Und das erste Semester war gar nicht mal so cool, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie unsere Lehrer*innen immer gesagt haben, dass wir abwarten sollen bis wir mal an einer Uni studieren, wenn wir uns mal wieder über die Menge des Unterrichtsstoffes für ein Halbjahr oder eine Klausur beschwerten. Und was soll ich sagen… sie hatten recht. In einem Semester lernt man so viel wie für das ganze Abitur. Trotzdem macht es Spaß, weil es einen ja auch interessiert. Den Unialltag, das Lernen, neue Freund*innen, die eigene Wohnung, eine fremde Stadt – das alles fand ich am Anfang ganz schön anstrengend, aber auch aufregend und extrem bereichernd.

Bei meinem Hauptfach Nahoststudien geht es in den ersten drei Semestern vor allem um Spracherwerb. Man lernt Bibelhebräisch, modernes Hebräisch und Arabisch. Der Fokus liegt auf Übersetzungen und Leseverständnis, also dem wissenschaftlichen Arbeiten mit fremdsprachigen Texten. Außerdem hat man auch Seminare und Vorlesungen zur Geschichte und Politik des Mittleren Ostens und natürlich geht es immer auch um Religionen. Es istein vergleichsweisekleiner Studiengang (in meinem Semester sind wir noch zu viert) und kleines Institut, was fast wie eine kleine Familie wirkt und den Studienstart erleichtert.

Das Ethnologie-Studium an der MLU ist sehr frei. Lediglich die Einführungsveranstaltung bleibt jedes Jahr ähnlich und ist fester Bestandteil. Ansonsten werden jedes Semester zu den unterschiedlichsten Thematiken Seminare angeboten. In der Regel liest man wissenschaftliche Texte (auf Englisch) und diskutiert dann im Seminar darüber, man sollte also wirklich gerne lesen. Zu Zeiten von Covid-19 hat sich dies allerdings etwas geändert. Es gibt weniger Diskussionen und mehr schriftliche Aufgaben, da die Lehre am Institut jetzt häufig asynchron verläuft.

Ich studiere gerne und dass ich immer noch Nahoststudien studiere, obwohl fast alle Menschen mit denen ich angefangen habe nach spätestens vier Semestern aufgehört haben, liegt wohl daran, dass ich mir zwei Jahre Zeit gelassen habe zwischen Schule und Studium. Ich habe die Zeit gebraucht, um eigene Erfahrungen zu sammeln und es ist okay, dass man nach dem Abitur vielleicht nicht weiß, was man die nächsten 70 Jahre machen möchte und sich noch nicht sein ganzes Leben ausgemalt hat. Ich bin mir auch immer noch nicht sicher, ob ich in diesem Bereich später arbeiten möchte. Aber ich weiß, dass es für den Moment die richtige Entscheidung war. Und hey uns stehen ja immer noch alle Türen offen. Wir sollten uns von diesem Überangebot an Möglichkeiten nicht zu sehr stressen lassen. Es ist sicherlich ein enormes Privileg, dass wir so frei sind zu wählen, aber es sollte uns nicht zu sehr unter Druck setzen, weder wir uns selbst noch gesellschaftliche Konventionen.

Jede und jeder findet am Ende ihren/seinen eigenen Weg und es gehört auch einfach dazu auf diesem ein paarmal falsch abzubiegen. Nicht immer muss alles beim ersten Versuch klappen und man kann sich im Nachhinein immer noch für etwas anderes entscheiden.

Weiterführende Informationen auf der Webseite.